Heute in der NW

Der TBV Lemgo und die TSG Harsewinkel hatten mit ihrem Benefizspiel für Gänsehautmomente gesorgt. So ging es für den an Krebs erkrankten Levi Wilhelm danach weiter.

Levi läutet seine Glocke des Lebens am Heiligen Abend

Von Gregor Winkler

Der TBV Lemgo und die TSG Harsewinkel hatten mit ihrem Benefizspiel für Gänsehautmomente gesorgt. So ging es für den an Krebs erkrankten Levi Wilhelm danach weiter.

Da hängt diese Glocke. Und am 24. Dezember, dem Tag, der Heiliger Abend genannt wird und an dem es auf der ganzen Welt von den Kirchtürmen erschallt, wird Levi Wilhelm diese eine ganz spezielle Glocke läuten. Es ist seine Glocke des Lebens. Wenn er sie erklingen lässt, dann bedeutet es, dass seine Therapie abgeschlossen ist. Nach fast einem Jahr wird Levi entlassen – am Heiligen Abend. „Wenn es da oben einen gibt, dann hat er sich das doch als ganz besonderes Zeichen ausgedacht“, sagt Levis Vater Lutz Wilhelm.

Levis Geschichte ist nicht nur die einer tückischen Krankheit, einer, die schwer zu erkennen war. Es ist vielmehr auch die Geschichte eines inzwischen 13-jährigen Jungen, der diesem Krebs frech in seine Fratze gelacht und gesagt hat: „Du kriegst mich nicht klein!“ Das haben er und seine Familie auch der Welt mitgeteilt. Und sie blieben in ihrem Kampf nicht allein.

Lutz Wilhelm ist Handballer, spielte beim HT SF Senne, war dort auch Trainer, und ist jetzt bei der TSG Harsewinkel als Coach aktiv. Das Schicksal seines Sohnes hatte sich herumgesprochen. Ende Juli kam die große Handallfamilie zusammen. Bundesligist TBV Lemgo reiste zum Oberligisten TSG Harsewinkel und trat vor hunderten Zuschauern zum Benefizspiel an. Dabei nahmen die Profis Levi in ihren Reihen auf, machten weit mehr, als man von ihnen hätte erwarten können. An diesem Tag kam eine fünfstellige Spendensumme zusammen. Gänsehautmomente.

Doch wie ging es weiter? Levi hatte noch Monate mit schweren Behandlungen vor sich. Aber der Kontakt nach Lemgo riss nicht ab. Wenn er nicht zur Chemotherapie musste, besuchte der Junge aus Borgholzhausen, der es viel eher mit Fußball hält und beim TuS Solbad spielt, Handballspiele der Lipper. Die mögen ihren neuen Fan. Allen voran kümmerte sich Trainer Florian Kehrmann immer herzlich um seinen jungen Freund.

Sein Umfeld machte sich große Sorgen um den kranken Jungen. Aber Levi überraschte sie alle immer wieder. Man könnte auch sagen – er ist eine coole Socke. „Man hatte manchmal das Gefühl, die Krankheit läuft für ihn so nebenher. Wenn er auf der Kinderstation lag, hat er sich immer mehr um andere gekümmert“, berichtet Vater Lutz staunend. Da musste der Papa zum Beispiel schnell noch los, um Pokale für die Sieger eines stationsinternen WM-Tippspiels zu besorgen.

„Levi bleibt einfach ruhig. Er macht so vieles richtig“

„Du stehst unter Dampf, willst alles richtig machen und bist aufgeregt und gereizt. Levi bleibt einfach ruhig. Und er hat recht. Er macht so viele Sachen richtig“, sagt Lutz Wilhelm. „Papa“, hat Levi irgendwann gesagt, „ich habe schon so viel geschenkt bekommen. Jetzt müssen wir auch mal was für Milo besorgen.“

Milo ist Levis 10-jähriger Bruder. „Er durfte nicht mit auf die Station. Die beiden haben sich sehr selten gesehen“, erklärt Lutz Wilhelm. Also ordnete Levi an, dass ein Kopfkissenbezug mit dem Bild der beiden Brüder bedruckt werden soll. Den schenkte er dann Milo. Der jüngere der beiden Geschwister ist der Handballverrückte. Er spielt in der E-Jugend der TSG Harsewinkel. Als er bei einem Spiel in Lemgo mit war, fragte ihn Manager Jörg Zereike: „Hast du eigentlich auch schon ein Trikot?“ Nein, hatte Milo nicht. Und im Handumdrehen bekam auch er sein Leibchen des Bundesligaklubs.

Als Karlheinz Kalze, Teammanager der TSG Harsewinkel, Karten für ein Spiel von Arminia Bielefeld hatte, Levi aber nicht mit konnte, überließ er Milo seinen Platz in der Schüco-Arena. Lutz Wilhelm glaubt: „Sicher, sie werden sich auch wieder gegenseitig ärgern. Aber ich hoffe, dass diese Zeit die beiden für ihr Leben zusammengeschweißt hat.“

Der TSG Harsewinkel ist die Familie zutiefst dankbar. „Wir können immer überall hinkommen. Sie sind immer für uns da“, betont Lutz. Die Zeit im Verein, sie war auch Ausgleich für den unglaublichen Stress. Ein Gedanke ist schon im Hinterkopf der Wilhelms gereift: Vielleicht werden sie nach Harsewinkel ziehen.

Sie wollen wieder zu Normalität und Ruhe finden

Das Familienleben ist in der schweren Zeit dennoch aus den Fugen geraten. Mutter Kerstin war jeden Tag in Bethel. Jetzt wollen die Wilhelms wieder zu Normalität und Ruhe finden. Levi, dem ein Oberarmknochen durch ein Implantat ersetzt wurde, wird noch vier Wochen zur Reha müssen. Die möchte die ganze Familie gerne in Bayern verbringen.

Mit dabei sein wird dann auch Riesenschnauzer Amari. Einen Hund hatte Levi sich gewünscht. Ein viertel Jahr lang hatten sich die Eltern informiert, dann holten sie das Tier. Levi durfte ihn aber nur aus dem Krankenhausfenster sehen.

Es sind Levis letzten Tage in der Klinik. Zwischendurch waren die Haare mal gewachsen. Nach der letzten Chemo fielen sie wieder aus. „Papa, mach mir noch einmal eine schöne Glatze. Dann fangen wir im neuen Jahr damit an, das sie mir wieder wachsen“, hat Levi gesagt. Sie werden zu seiner Entlassung Waffeln backen. „Nicht draußen, sondern auf der Station. Ich möchte, dass auch die Kinder, die gar nichts essen können, wenigstens den Duft riechen“, wünschte sich der 13-Jährige. Das mache sie glücklich, weiß er.

Levis Gesundheitszustand wird auch nach seiner Entlassung engmaschig überwacht werden. 10 Jahre lang kann der Krebs zurückkehren. Das weiß die Familie. Sie verdrängen nichts. „Ich bin Levi. Ich besiege den Krebs!“ So wurde er einmal zitiert. Dieser 13-jährige Junge hat der Krankheit einfach frech ins Gesicht gelacht. Richtig so! Und am Heiligen Abend läutet Levi Wilhelm nach fast einem Jahr tapferen Kampfes seine Glocke des Lebens